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So viel Liebe

Frühlingsgefühle sind offenbar doch nicht wetterabhängig. Denn obwohl ich hier in Douala auch jetzt, in den Frühlingsmonaten, wie immer unveränderte lauschige 30 - 40 °C genießen darf, waren Maria und ich in diesem und letzten Monat auf zwei traditionellen Hochzeiten eingeladen: Im April trauten sich Martin und Malvina in Douala und am 11. Und 12. Mai waren die traditionelle und standesamtliche Hochzeit von Martins kleinem Bruder und meinem Kollegen Alexis und seiner Frau Sidonnie. Gefeiert wurde in N’Lohé, einem kleinen Dorf in der Region Ouest, das nicht einmal bei Google Maps zu finden ist. Bei der traditionellen Hochzeit „übergibt“ die Familie der Braut ihre Tochter an die Familie des Bräutigams, nachdem diese im Vorwege einen Brautpreis gezahlt hat. Der Brautpreis kann zum Beispiel aus einer bestimmten Summe an Geld, mehreren 20-Liter-Kanistern „rotem“ Öl (das ist unraffiniertes Palmöl und ist wichtig für viele Gerichte der kamerunischen Küche), ein bis zwei Ziegen, Feuerholz und Bettdecken bestehen. Es gibt verschiedene Auffassungen über die Bedeutung dieses Brautpreises. Einige sagen, dass er der Frau an sich einen Wert geben oder die Mühen der Familie bei der Erziehung und Bildung der Tochter wertschätzen und aufwiegen soll. Für andere hat er einfach einen symbolischen Wert und stellt eine uralte und erhaltenswerte Tradition dar, die aber dem Paar durch aufzubringende Unsummen nicht im Weg stehen soll. Die Höhe des Preises ist von Familie zu Familie unterschiedlich und hängt auch ein bisschen vom Stamm der Familie und davon, für wie wichtig diese Tradition gehalten wird, ab. In manchen Stämmen ist es fix, dass für jede Frau der gleiche Preis gezahlt wird, einige Familien verlangen den gleichen Preis, der auch für die Mutter der Braut gezahlt wurde, wieder andere verhandeln einfach drauf los, manchmal ist die Höhe des Preises vom Bildungsstand der Braut abhängig und im Dorf Kom in der Region North-West zahlt man sogar mehr, wenn die Frau besonders helle Haut hat. Leider werden manche Mädchen auch regelrecht verkauft. Die Mädchen der Douala gelten im Allgemeinen als sehr „teuer“ und nur wenige Männer und ihre Familien können den Brautpreis aufbringen. So kommt es, dass hier in der Stadt viele Paare in „wilder Ehe“ zusammenleben und die Frau ihrem Mann gegenüber gar keine Rechte (zum Beispiel bezüglich gemeinsamen Besitzes oder der Kinder) hat, oder beide bis weit ins Erwachsenenalter immer noch bei den Eltern leben, obwohl sie schon viele Kinder zusammen haben. PK 13 Am 7. April fuhren wir also gemeinsam mit meiner lieben ehemaligen Kollegin Élodia in einem Taxi nach PK 13, einem Viertel auf der anderen Seite der Stadt, wo die Hochzeit stattfinden sollte. Wir waren durch den (noch gemäßigten) Stau über eine Stunde unterwegs und als wir ankamen, mussten wir noch lange unter einem Dachvorsprung warten, denn es regnete wie aus Eimern und natürlich hatte keine von uns einen Schirm dabei. Das war aber nicht schlimm, denn traditionelle Hochzeiten beginnen meist erst spät in der Nacht und so hatten wir bisher auch noch fast gar nichts verpasst, als wir gegen 22:30 Uhr endlich im Foyer (mehrere Gebäude in denen viele Familienmitglieder zusammen wohnen) der Brautfamilie ankamen. Die Zeremonie beginnt mit einem Spiel. Es werden nacheinander verschleierte Frauen in den Raum geführt und der Bräutigam muss erkennen, ob es sich um seine Frau handelt oder nicht. Wenn es die falsche ist, zahlt er der Brautfamilie ein bisschen Motivationsgeld, damit die nächste reingeführt wird. Als Martin Malvina erkannte, brachen die Gäste in ohrenbetäubendem Jubel aus und sangen Lieder auf der Stammessprache aus Bandjoun, denn da kommt die Familie der Braut her. Später begann die eigentliche Zeremonie. Malvinas Familienoberhaupt hielt erst eine Ansprache und gab ihr dann zwei Becher, die er jeweils zur Hälfte mit zwei unterschiedlichen Säften füllte. Sie sollte nun den Inhalt des einen Bechers mit zu dem Saft im anderen Becher gießen und beide danach wieder komplett voneinander trennen. Malvina sagte, das könne sie nicht, denn die Säfte seien jetzt untrennbar miteinander verbunden, so wie das Brautpaar. Anschließend tranken Malvina, Martin und die Oberhäupter beider Familien von dem Saft. Normalerweise wird für diesen Brauch Palmwein verwendet. Dessen Qualität ist in Douala jedoch so miserabel (auf den Dörfern dafür umso besser), dass man sich um seine Gesundheit sorgen muss, wenn man ihn trinkt. Nun verteilte das Oberhaupt der Familie des Bräutigams Stücke von Kolanüssen an die Gäste. Denn sollten die beiden sich einmal scheiden lassen wollen, würden sie alle, die ein Stück von den Nüssen gegessen haben, um Erlaubnis fragen müssen. Das ist allerdings nur symbolisch um das Gewicht einer Scheidung zu verdeutlichen - im Ernstfall ist eine Scheidung auch ohne die Erlaubnis aller Gäste möglich. Nachdem wir danach gemeinsam mit den Gästen klassisch kamerunisch gegessen und ordentlich getanzt haben, sind wir von dem wahrscheinlich schnellsten Mototaxi-Fahrer der Welt nach Hause gefahren worden und ich war einfach nur glücklich, diese Fahrt unversehrt überstanden zu haben. Von dieser Hochzeit habe ich leider keine schönen Fotos. N’Lohé / Loum Fünf Wochen später machten Maria und ich uns mit ein paar meiner Kollegen auf den Weg zu Alexis‘ und Sidonnies Hochzeit. Wir reisten wie fast immer im überbesetzten Taxi nach N’Lohé, einem kleinen Dorf an der Hauptstraße zwischen den Städten Douala und Bafoussam, aus dem ein großer Teil von Alexis‘ Familie stammt. Ursprünglich sollte die Hochzeit im anglophonen Bamenda, Sidonnie’s Heimatstadt, gefeiert werden. Aufgrund der politischen Krise und der daraus resultierenden schlechten Sicherheitslage haben sich die beiden aber dazu entschieden, im frankophonen Teil zu heiraten. Dieser Artikel der Friedrich Ebert Stiftung stammt zwar schon aus dem August 2017 und berichtet deshalb nicht davon, wie schlimm, verfahren und voller Gewalt die Situation inzwischen ist, allerdings gibt er einen guten Einblick in die Hintergründe, auf denen diese Kriese fußt. Wir weltwärts-Freiwilligen dürfen die anglophonen Regionen seit März gar nicht mehr betreten, und jene, die in Bamenda und Kumbo eingesetzt waren, absolvieren den Rest ihres entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes jetzt in Bafoussam. Die Zeremonie der traditionellen Hochzeit war ähnlich aufgebaut wie jene von Martin und Malvina, bloß dass sie erst viel später begann. Leider habe ich davon kaum etwas mitbekommen, da der Raum so eng und voll war, dass ich ihn verlassen musste, um ein bisschen frei atmen zu können. Auch dieses Mal gab es wieder reichlich zu essen, allerdings erst nach ein Uhr nachts. Die Gäste waren zum Großteil schon sehr müde und betrunken, viele haben während der Zeremonie geschlafen. So wurde im Anschluss nicht mehr viel gefeiert und wir machten uns auf den Weg in unsere Unterkünfte.

Mit unserem „Hotel“ hatten wir leider wenig Glück. N’Lohé ist eben ein wirklich sehr kleines Dorf mit wenigen Besuchern und dementsprechend gibt es nur ein paar kleine Herbergen und keine Hotels. Wir übernachteten also in einer Unterkunft, die eigentlich eher als Stundenhotel dient. Es war darin so ekelhaft, dass ich nicht einmal mehr sauer, angeekelt oder verzweifelt sein konnte, weil ich die ganze Zeit lachen musste. Wir hatten rote Zimmerbeleuchtung, kein fließendes Wasser, ein Doppelbett mit hauchdünner Matratze (ich möchte lieber nicht darüber nachdenken, wer darin alles wohnt und woher die Flecken darauf stammten) und nachts weckten uns die Ratten, die über uns auf der dünnen Deckenverkleidung herumtobten. Es gab, wie hier nicht unüblich, eine Gemeinschaftstoilette - wir Freiwilligen nennen dieses Klo-Modell liebevoll „Loch im Boden“. Die meisten Familien halten diese Toiletten sehr sauber und ich habe eigentlich kein Problem damit, darauf zu gehen. Dieses Exemplar war jedoch nicht ansatzweise sauber. Von ihm ging ein einzigartiger Geruch aus, es gab viele Kakerlaken, Dreck und, was mich wirklich verwunderte, etliche aufgerissene Kondompackungen auf dem Boden. Wie genügsam kann man eigentlich sein, um auf diesem Klo Kondome benutzen zu wollen?

Samstagmittag (nachdem ich zum Glück eine Möglichkeit fand, nach dieser einzigartigen Nacht zu duschen) ging es für die gesamte Gesellschaft ins benachbarte Loum zur standesamtlichen Trauung. Ich habe in Deutschland noch nie bewusst eine standesamtliche Trauung erlebt, vermute aber, dass die Zeremonien sich grundsätzlich in beiden Ländern ähneln. Als aber die Gesetzestexte zur Ehe und zu den Rechten und Pflichten der Ehepartnern verlesen wurden, standen mir meine feministischen Haare zu Berge und die anschließende Rede des Standesbeamten hat das auch nicht verbessert. Ich weiß, dass es in Kamerun wie in jedem anderen Land ein langwieriger Prozess ist und sein wird, uneingeschränkte Gleichberechtigung für beide Geschlechter zu erreichen, aber es ist nicht immer einfach, das hinzunehmen und der Gesellschaft hier die Zeit, die sie dafür braucht, zuzugestehen. Nachdem wir im Auto- und Mopedkorso zurück nach N’Lohé gefahren sind und da noch ein bisschen gefeiert und gegessen haben, sind wir am Abend mit Eric’s Pick-Up die zwei- bis dreistündige Fahrt zurück nach Douala gefahren – Zwei auf dem Beifahrersitz, drei auf der Rückbank und vier auf der Ladefläche. Kamerun eben. Hier ist ein Video vom Mopedkorso:


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