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Was machst du eigentlich, wenn du nicht verreist bist?

Seit ich hier bin, begleiten mich zwei Fragen: Wo ist die Zeit geblieben? Und: Was machst du eigentlich, wenn du nicht verreist bist? Ich bin seit fünf Monaten und zehn Tagen hier, Weihnachten ist schon fast ein Monat her, am Ende dieses Monats ist für mich Halbzeit in Kamerun und gestern begann schon der dreimonatige Basiskurs für eine neue Gruppe Jugendlicher bei DUCA - Zeit für mich, ein bisschen detaillierter darüber zu berichten, was ich eigentlich den ganzen Tag mache, wenn Maria und ich nicht verreisen, wie der erste Basiskurs verlaufen ist und wie DUCA eigentlich arbeitet. Nachdem ich nun das erste Mal einen solchen Basiskurs vom Anfang bis zum Ende miterlebt habe, hat sich meine bisherige Überzeugung vom Konzept dieser Organisation noch einmal bestätigt. Bei DUCA wird auf nachhaltige Art und Weise versucht, mit Einsatz und durch gute Begleitung der Jugendlichen Erfolg zu säen. Dieser Prozess beginnt nicht erst mit dem Anfang des Basiskurses, sondern schon mit dem ersten Bewerbungsgespräch, in dem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versuchen, das Mädchen oder den Jungen kennen zu lernen. Wir wollen herausfinden, aus welchem familiären, sozialen und finanziellen Hintergrund die Jugendlichen stammen, welchen Bildungsstand sie haben, welchen Beruf sie erlernen möchten und wieso und vor allem wie motiviert sie sind, an ihrer Situation etwas zu ändern. Ein Großteil der Bewerberinnen und Bewerber hat die Schule oft schon in der Mittelstufe abgebrochen. Die einen weil das Schulgeld fehlt, manche aber auch, weil sie sich zum Beispiel um ihre kleinen Geschwister kümmern mussten. Es gibt jedoch auch einige teils erstklassige Abiturienten und Abiturientinnen, die sogar einige Semester studierten, die (weiteren) Studiengebühren allerdings nicht mehr aufbringen konnten. Nicht wenige haben die Monate und Jahre zwischen Schul- oder Studienzeit und der Bewerbung bei DUCA in Arbeitslosigkeit verbracht, erste Kinder bekommen, sich mit schlecht bezahlten, teils zweifelhaften Minijobs in ihrem Viertel wenigstens ein bisschen dazu verdient und leider auch oft die Zuversicht, eines Tages ein gefestigteres Leben führen zu können, verloren. Es kommt immer wieder vor, dass wir in diesen Bewerbungsgesprächen das Gefühl haben, dass der oder diejenige, die uns da gerade gegenüber sitzt, wirklich etwas ändern möchte, aber nicht richtig weiß, was er oder sie vom Leben erwartet, geschweige denn erlernen möchte. Oder dass es irgendetwas in ihrem oder seinem Leben gibt, was eine so große Belastung darstellt, dass es zu diesem Zeitpunkt gar nicht möglich wäre, sich auf den Basiskurs und danach eine Berufsausbildung so konzentrieren zu können, dass sie erfolgreich wird. Meine Kolleginnen und Kollegen schicken diese Jugendlichen danach nicht einfach weg, damit sie in ihrem Viertel alleine versuchen können mit sich und ihren Problemen klarzukommen, sondern bieten ihnen die Möglichkeit, kostenlos psychologisch betreut zu werden. Solange, bis der Psychologe, mit dem DUCA zusammenarbeitet, das Gefühl hat, dass sie bereit sind, sich auf ihren beruflichen Werdegang zu konzentrieren und den Basiskurs zu beginnen. Der Unterricht in den kamerunischen Schulen ist sehr frontal. Die Klassen sind riesig (von 80 bis 150 Kindern pro Klasse), es herrscht eine strenge Hierarchie. Schon im frühen Kindesalter sind Rohrstock und Gürtel ständige Begleiter, wie Maria, die in einer École Maternelle arbeitet (also einer „Schule“ für Kinder von ca. 2 bis 5 Jahren), jeden Tag erfahren muss. So wie ich es bisher erfahren habe geht im Unterricht eher darum, zu gehorchen, als Kreativität und Eigeninitiative zu entwickeln. Doch genau diese beiden Eigenschaften möchte DUCA in seinen Lehrlingen wecken. Sie sollen lernen Ideen zu entwickeln, sich auszudrücken, zu hinterfragen, fundiert zu argumentieren, an sich und ihre Zukunftspläne zu glauben, selbstbewusst aufzutreten und Konflikte gewaltfrei zu lösen.

Die Bilder sind von DUCA Ich habe zu Beginn angesichts der stummen und verschlossenen Gruppe, die Anfang September bei einem Infotermin über den Ablauf des Kurses saß, ehrlich gesagt nicht daran geglaubt, dass dieses ehrgeizige Ziel in drei Monaten zu erreichen sein soll. Würden die Jugendlichen sich öffnen? Aus ihren gewohnten hierarchischen Verhältnissen ausbrechen und sagen was sie denken? Ideen entwickeln oder neue Denkanstöße geben? Wie lange würde es dauern, bis sie Vertrauen zu uns und den anderen in der Gruppe fassen, um im Unterrichtsgespräch offen ihre Meinung zu sagen? Ich sollte lernen, dass manche Eigenschaften anscheinend in den Menschen schlummern, sie müssen nur geweckt werden. Das ging dann auch sehr schnell, schon in der ersten Woche wurde es teilweise sehr laut im Unterricht. Laut den Jugendlichen, oder „meinen Kindern“, wie mein Kollege Fabrice sie nennt, waren der Schlüssel dazu die Einheit über persönliche Entwicklung und der Diskussionskurs. Zu Beginn der drei Monate durfte sich die Gruppe Themen wünschen, über die diskutiert werden sollte, hierzu gehörten etwa Arbeitslosigkeit, Korruption, Wahlrecht und die Situation im anglophonen Teil. Jeden Mittwochnachmittag wurde dann ein anderes Thema in der Einheit in seine Einzelheiten zerlegt und jedes Mal war jemand vom Fach dabei, der von meinem Kollegen Alexis vorher eingeladen wurde. Diese Runden waren nicht zuletzt auch für mich durch den Mix aus fundiertem professionellem Wissen, persönlicher Erfahrungen und verschiedener Meinungen lehrreich, obwohl ich in den ersten Wochen noch nicht so viel verstanden habe. In der Einheit über persönliche Entwicklung hat die Gruppe zum Beispiel ihre Stärken und Schwächen analysiert. Meine Kollegin und Landesmentorin Florentine hat vor allem mit den Jugendlichen gemeinsam erörtert, wie sie ihre Schwächen bearbeiten, aus ihnen lernen und sie eines Tages überwinden können. Hierzu möchte ich das Beispiel eines jungen Herrn nennen, der sich ein wenig zu meinem Steckenpferd entwickelt hat. Er ist mir gleich in der ersten Woche aufgefallen, denn er schien wirklich intelligent. Vor allem ist er mir aber durch sein selbstsicheres Auftreten, mit dem er in der Einheit über die Beziehung zwischen Mann und Frau sein sehr überzeugtes, oft sexistisches Gedankengut hervorbrachte, gewaltig auf meinen feministischen Füßen herumgetrampelt. Immer wenn ich den Unterricht begleitete, fing ich früher oder später an zu kochen. Ich schluckte meinen Zorn runter, denn Fabrice und Florentine, aber auch die anderen Lehrlinge haben ihn immer wieder besonnen und gut gekontert, was ich mir in dem Moment, vor allem mit der damals noch starken Sprachbarriere, nicht zugetraut hätte. Dann kam die Unterrichtseinheit mit den Stärken und Schwächen. Er sollte seine Schwächen laut vorlesen und sagte von sich selbst, dass er schnell cholerisch reagieren und Konflikte mit Gewalt lösen würde.Vor allem sagte er aber, dass er Frauen nicht länger als fünf Minuten zuhören könne. Wenn Frauen redeten werde ihm schlecht und er müsse den Raum verlassen. Und er sagte, dass er das alles eigentlich selbst nicht wolle. Er wisse selbst nicht, wieso das alles so sei und was er dagegen tun könne. Allein die Erkenntnis, dass er diese Eigenschaft als Fehler ansieht und etwas dagegen tun möchte, hat mich schon beeindruckt. Da war noch Entwicklungspotenzial, das er selbst erkannt hat. Florentine gab ihm als Hausaufgabe auf, sich jeden Tag irgendeine Frau aus seinem Umfeld zu suchen, egal ob auf dem Markt, bei DUCA oder beim Feiern um Club. Diese sollte er dann mit seiner Mutter und seiner Großmutter, also den beiden Frauen, die er wirklich respektiert, vergleichen und versuchen, sich der Ähnlichkeiten dieser Frauen bewusst zu werden. Und er entwickelte sich tatsächlich. Er fing an zuzuhören, unterstützte die Mädchen der Gruppe wenn er in einer Gruppendiskussion ihrer Meinung war und suchte sogar öfter meinen Rat. Er fing an, den Frauen in seinem Umfeld auf Augenhöhe zu begegnen.

Die Bilder sind von DUCA Ich bin bei DUCA eigentlich ein bisschen überall dabei. Bei Veranstaltungen oder wenn wir uns mit der Gruppe Ausbildungsbetriebe ansehen, mache ich Fotos, veröffentliche Berichte auf der Website und dem Facebook-Account, verwalte die Noten der Lehrlinge nach jeder „Evaluation“, einer Reihe von Tests in allen Fächern, die einmal im Monat stattfindet, begleite eben wie oben schon berichtet den Unterricht meiner Kolleginnen und Kollegen oder die Bewerbungsgespräche. Meine Hauptaufgaben bestanden in den letzten Monaten jedoch daraus, die Ergebnisse einer umfangreichen Umfrage zur Situation der Frauen in Kamerun zu digitalisieren, die im vergangenen Frühjahr von DUCA erhoben wurde, mit Pascal den Informatikunterricht zu gestalten, Alexis bei seiner Einheit über nachhaltige Entwicklung, die er in Souza durchführt, zu unterstützen und als Tutorin für ein Mädchen und einen Jungen während des Basiskurses da zu sein. Informatikunterricht klingt jetzt sehr hochtrabend. Anstatt irgendwelche Programme zu schreiben geht es eher darum, den Lehrlingen die Grundlagen der Nutzung des Internets, E-Mail Accounts und Programmen wie Microsoft Word, Excel und Publisher beizubringen, sodass sie im Arbeitsalltag Geld sparen und zum Beispiel Rechnungsvorlagen und Flyer selbst erstellen können und niemanden damit beauftragen müssen. Viele haben nämlich noch nie zuvor in ihrem Leben an einem Computer gesessen. Im Kurs zur nachhaltigen Entwicklung hält Alexis sich hauptsächlich an die Ziele 2, 12, 13 und 15 der Agenda 2030 (Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen), da diese am ehesten die landwirtschaftlichen Berufe der Lehrlinge im Ausbildungszentrum in Souza betreffen. Hier haben wir mit der Gruppe etwa darüber gesprochen, was Nachhaltigkeit für sie bedeutet und sehr leidenschaftlich die Vor- und Nachteile der Abholzung von Wäldern, die hier in Kamerun ein sehr aktuelles und brisantes Thema ist, diskutiert. Wir wollen mit der Gruppe in einem Praxisprojekt Plastikflaschen recyceln und einen Flaschengarten bauen, sowie kleine Dosen und einen Besen – ich werde berichten. Plastikflaschen deswegen, da es hier keinen Flaschenpfand gibt und sie als Faktor von Umweltverschmutzung durch Müll wirklich ins Auge fallen. Sie liegen überall in großen Mengen herum, sogar auf dem Gipfel des Mount Cameroon und auf dem Weg dahin.

Das Tutorat hat sich als nicht einfach erwiesen. Ich sollte meinen Tutanden bei Fragen und Problemen zum Basiskurs zur Seite stehen, sie vor allem aber dabei unterstützen, ihr „Projet d’Avenir“, also einen detaillierten Bericht mit einem realistischen Blick auf die eigenen Qualitäten und Schwächen sowie die (beruflichen) Zukunftspläne zu schreiben. Am Anfang stand meine Sprachbarriere uns und einer guten Kommunikation noch stark im Wege. Ich wusste nicht, wie ich den beiden Jugendlichen so mit ihren Problemen eine Hilfe sein soll, denn ich musste jedes Mal einen Kollegen oder eine Kollegin als Unterstützung zu Rate ziehen. Darüber hinaus habe ich für meine Premiere zwei Spezialisten abbekommen, die es mir nicht immer leicht machten und mich gelegentlich verzweifeln ließen. Das Mädchen wirkte nur selten motiviert und war sehr schwierig im Umgang, da sie sich nur für wenig begeistern lies, der Junge hingegen war ein wenig zu sehr von sich selbst überzeugt. Diese Eigenschaft könnte ihm eines Tages während seiner Berufsausbildung oder allgemein in seinem weiteren Lebensweg stark im Wege stehen, so wie es während des Basiskurses schon immer wieder vorkam. In der letzten Woche des Basiskurses zwischen dem zweiten und dritten Advent hat dann jeder Lehrling sein oder ihr „Projet d’Avenir“ vor einer Jury, dem Rest der Gruppe sowie Angehörigen präsentiert und sich danach den Fragen der Jury gestellt. Manche haben sich wirklich um Anschaulichkeit bemüht: So hat ein Mädchen, das Gastronomie lernen möchte, für alle Kuchen gebacken, ein Junge der Elektriker werden möchte hat einen Wechselschaltungsstromkreis gebaut und erklärt und ein Junge der Schweißer werden möchte, kam nicht wie die anderen in Anzug sondern in Arbeitskleidung. Nicht alle Lehrlinge dieser Gruppe haben von DUCA direkt das Stipendium für eine Berufsausbildung zugesagt bekommen, da bei einigen der Zweifel bestand, ob der gewählte Beruf der Richtige ist, ob sie motiviert genug sind und sie die Berufsausbildung nicht abbrechen, sondern gut abschließen und danach auch im von ihnen gewählten Beruf arbeiten wollen und eine Zukunft sehen. Diesen Jugendlichen wird zunächst ein Monat Zeit gegeben, in dem sie ihre Wahl überdenken können. In diesem Monat machen sie ein Praktikum in dem von ihnen gewählten Beruf, um den realen Arbeitsalltag dort kennen zu lernen und damit sie nicht wieder in ihren alten Rhythmus aus der Zeit der Arbeitslosigkeit verfallen und sich womöglich am Ende dieses Zeitraums nicht mehr aufraffen können.


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